Jüdische Friedhöfe

Juden siedelten seit dem Mittelalter an der Oder zwischen Brandenburg, Sachsen, Schlesien, Polen und in Preußen. Sie waren im Hausier- oder Großhandel, im Handel mit Kolonialwaren, im Textilgewerbe und im Handel mit landwirtschaftlichen Produkten tätig. In Städten auch als Geldverleiher bzw. Bankiers und ab Ende des 19. Jahrhunderts auch als Rechtsanwälte. Die Niederlassungsrechte jüdischer Gemeinden wurden immer wieder zum Spielball politischer Auseinandersetzungen zwischen Kurfürsten, Königen, den Ständen, dem Klerus und den Städten. Wirtschaftliche Interessen und religiöse Vorurteile spielten dabei stets eine Rolle und verursachten mehrere Vertreibungswellen.

Erst seit dem 1671 – als der Kurfürst Friedrich Wilhelm die 50 aus Wien vertriebene jüdische Familien nach Brandenburg eingeladen hat – können wir von einer kontinuierlichen jüdischen Ansiedlung in der Provinz sprechen. Im 19. Jahrhundert existierten in vielen Kleinstädten Brandenburgs jüdische Gemeinden mit eigenen Friedhöfen, Synagogen oder Gebetshäusern. Durch zunehmende Migration in größere urbane Zentren wie Berlin, Stettin und Breslau, in Industrieorte in Westeuropa sowie nach Übersee schrumpften die jüdischen Gemeinden in der Peripherie jedoch ab der Jahrhundertmitte. Im 20. Jahrhundert waren es dann die Nationalsozialisten, die die Juden an der Oder endgültig zur Emigration zwangen oder ermordeten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Region geteilt. In der DDR – einem sich als antifaschistisch selbstdefinierenden Staat – war die offene Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und somit auch der Geschichte des Holocaust nicht möglich. Jüdische Friedhöfe wurden vielerorts vergessen. Erst in den 1980er Jahren würdigte die DDR-Regierung das jüdische Erbe in Form von Gedenktafeln, neuen Institutionen sowie mit dem feierlichen Gedenken des 50. Jahrestages der Pogromnacht im November 1988. Nach der politischen Wende, in den 1990er Jahren, entstanden in Ostdeutschland neue jüdischen Gemeinden und das jüdische Leben formierte sich neu.

In dem Teil der Region, der östlich der Oder und der Lausitzer Neiße liegt und seit 1945 zu Polen gehört, kam es indes zu einem fast vollständigen Bevölkerungsaustausch. Die deutsche Bevölkerung wurde vertrieben. Die Region wurde zur neuen Heimat für Polen und nationalen oder ethnischen Minderheiten aus dem ehemaligen Osten Polens wie auch aus anderen Teilen des Landes. Für sie war das jüdische Erbe Teil der deutschen Vergangenheit, die es zunächst zu überschreiben galt. In den polnischen neuen West- und Nordgebieten kam es vor allem in den 1960er und 1970er Jahren zur gezielten Beseitigung von deutschen und jüdischen Friedhöfen. Trotzdem sind Reste der Friedhofsanlagen vielerorts noch vorhanden.

Die jüdischen Friedhöfe sind heute – sowohl in Deutschland wie in Polen – die wenigen historischen Orte, die Auskunft über die jahrhundertelange Anwesenheit der jüdischen Gemeinden in der Region geben können. Ihr materieller Bestand aus Grabsteinen, Fragmenten mit ihren Inschriften sowie Friedhofsbauten sind Quelle für historische Forschung. Sie geben Auskunft über die religiösen Strömungen der Gemeinden, den Grad der Akkulturation an die christliche Mehrheitsgesellschaft, über Berufe und soziale Zugehörigkeit sowie im Allgemeinen über die Topographie des jüdischen Lebens in der Grenzregion. Neben den Friedhöfen sind in beiden Ländern vereinzelt Synagogen oder andere religiöse oder profane Bauten der jüdischen Gemeinden erhalten geblieben.


Im heutigen Land Brandenburg gibt es ca. 60, in dem heute zu Polen gehörenden Teil der historischen Provinz Brandenburg ca. 45 jüdische Friedhöfe. Sie sind von unterschiedlicher Größe, mancherorts beräumt, andernorts aus einzelnen Fragmenten bis hin zu geschlossenen Grabsteinfeldern bestehend.

Die interaktive Online-Karte „Jüdische Friedhöfe in Westpolen“ dient dazu, sich einen ersten Überblick über die Lage und den gegenwärtigen Zustand der jüdischen Begräbnisstätten in jener Region zu verschaffen, die vor 1945 zum historischen Brandenburg, seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu Polen gehört.

In der Datenbank „Jüdische Friedhöfe in Brandenburg“ befinden sich Dokumentationen von mehreren jüdischen Friedhöfen im heutigen Land Brandenburg, in der Datenbank „Jüdische Friedhöfe in Polen auf den Gebieten der ehemaligen Provinz Brandenburg“ jene, die sich im heutigen Westpolen befinden.


Im Rahmen der Konferenz haben wir Fragen nach der Rolle und Zukunft des jüdischen Kulturerbes in der Region diskutiert:

Wie wird mit der historischen Bausubstanz der Friedhöfe und anderen Bauten umgegangen?
Welche Rollen spielen dabei die Hochschulen sowie Kulturerbe-Institutionen?
Welche Rolle können die jüdischen Friedhöfe und andere Orte jüdischen Lebens in der Geschichtsvermittlung heute in beiden Ländern und grenzübergreifend spielen?
Welche Potenziale bietet das jüdische Kulturerbe für die kulturelle Entwicklung der deutsch-polnischen Region heute?